Beruf auf Abruf – Leben zwischen Umzugsboxen

Jeder vierte Deutsche ist schon einmal wegen des Jobs umgezogen. Bei Berufstätigen mit Abitur sind es sogar 41 Prozent, wie eine repräsentative Infas-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung kürzlich ergab. Doch wer will ein Leben lang immer wieder die Umzugskartons packen, weil der Arbeitgeber es verlangt?
Eine Pfarrerin, ein Soldat, ein Auslandskorrespondent und eine Diplomatin berichten, warum sie ihren Beruf bewusst gewählt und die Vorzüge des Nomadentums schätzen gelernt haben.

Sonja Sibbor-Heißmann, Studentenpfarrerin

Sonja Sibbor-Heißmann hat schon als Kind erfahren, was es bedeutet, wenn die ganze Familie den Wohnort wechselt. Ihr Vater war Theologe und nahm kurz nach ihrer Geburt in Nürnberg eine Pfarrstelle in Garching an der Alz an. In der zweiten Klasse folgte der Umzug nach München, wo sie den Rest ihrer Schulzeit verbrachte. Nach einem Jahr Freiwilligendienst in Bolivien entschied sie sich ebenfalls für Evangelische Theologie und studierte in Neuendettelsau, München und Heidelberg. Zehn Jahre lang betreute sie ihre erste Pfarrstelle im niederbayerischen Hengersberg.
Seit Oktober ist Sibbor-Heißmann nun Studentenpfarrerin an der Universität Passau und fühlt sich dort bereits „sehr heimisch“. Mit ihrem Mann, der ebenfalls als Pfarrer arbeitet, hat sie inzwischen selbst eine Tochter. Die Vierjährige habe den Umzug nach Passau gut verkraftet, sagt Sibbor-Heißmann. „Sie wird noch lange genug in den Passauer Kindergarten gehen, um dort Fuß zu fassen.“
Dass sie den gleichen Beruf ausüben, ist für das Pfarrerspaar ein Glücksfall. „Wir können leicht zusammen umziehen. Wenn der Partner einem Beruf nachgeht, bei dem Versetzungen selten sind, müssen andere Lösungen her“, sagt Sibbor-Heißmann. „Viele ziehen innerhalb des Dekanats um oder versuchen, länger als üblich dieselbe Pfarrstelle zu betreuen.“
Sehnsucht nach mehr Sesshaftigkeit hat Sonja Sibbor-Heißmann nicht. Heimat sei für sie kein geografischer Punkt. „Als wir in der Schule einmal ein Bild von unserer Heimat malen sollten, habe ich einen Haufen Menschen in einer Wüste gezeichnet. Heimat verbinde ich mit Menschen, nicht mit einem Haus mit großen Garten.“ Trotzdem bleibt die Ungewissheit, was das Alter bringen wird. „Wenn man im Ruhestand das Pfarrhaus verlässt, stellt sich bestimmt die Frage: Wo soll ich jetzt hin?“

Jürgen Osterhage, ARD-Korrespondent

Für Jürgen Osterhage ist die alte Hansestadt Lemgo in Ostwestfalen der Inbegriff von Heimat. Wenn er in Indien ist, wo er derzeit das ARD-Studio Neu Delhi leitet, dehnt er den Begriff auf ganz Deutschland oder gar Europa aus. Seine Frau und die beiden jüngeren Kindern haben ihn nach Indien begleitet, die volljährigen Töchter sind in Deutschland geblieben. Für den elfjährigen Sohn und die neunjährige Tochter ist es der zweite Umzug.
„Wenn die Kinder klein sind, ist es weniger problematisch. Schwierig wird es, wenn sie schon an einem Ort Wurzeln geschlagen haben“, sagt Osterhage. Aber nach der Eingewöhnungsphase überwögen auch für sie die Vorteile. „Der Fortschritt ihrer Englischkenntnisse ist beachtlich. Außerdem profitieren sie von den unzähligen neuen Eindrücken.“
Immer wieder neue Kulturen kennenzulernen sei für ihn ein Abenteuer. In seinen Zuständigkeitsbereich fallen so verschiedene Länder wie Afghanistan, Pakistan, Nepal, Bhutan, Bangladesch, Indien, Sri Lanka und die Malediven. Auch seine Frau nutzt die Zeit im Ausland. „Sie ist Internistin. Weil sie in Indien nicht als Ärztin arbeiten kann, macht sie eine Ayurveda-Ausbildung, um später in Deutschland die klassische Schulmedizin und die traditionelle indische Heilkunst kombiniert anzuwenden“, sagt Osterhage.
Seit 15 Jahren arbeitet er als ARD-Korrespondent und wechselt dabei alle drei bis fünf Jahre seinen Standort. Bereits zum zweiten Mal wählte er Neu-Delhi. Nach seiner Pensionierung will sich der 59-Jährige aber wieder in Berlin niederlassen.

Andreas Hecke, Unteroffizier

In den neun Jahren seit seinem Eintritt in die Bundeswehr packte Andreas Hecke vier Mal die Umzugskisten. Eine feste Regelung, nach wie vielen Jahren eine Versetzung erfolgt, gibt es für Unteroffiziere wie ihn nicht. „Es kommt aber häufig zu Versetzungen, weil Kasernen geschlossen oder umstrukturiert werden.“
Offiziere ziehen in der Regel alle zwei bis drei Jahre um. Rücksichtnahme auf die Familie kann die Bundeswehr dabei nicht immer gewährleisten. „Man hat sich bei der Einstellung zu bundesweiter Versetzung bereit erklärt“, sagt Hecke.
Heute pendelt der Personalunteroffizier: Von Weiden in der Oberpfalz zur Kaserne in Kümmersbruck sind es 50 Kilometer. „Meine Partnerin studiert in Weiden. Wir sehen uns täglich, wie bei einem normalen Beruf.“
Hecke berichtet aber auch vom Phänomen der überstürzten Hochzeiten. „Viele Soldaten lernen kurz vor der Versetzung ins Ausland ihre vermeintlich besser Hälfte kennen“, sagt Hecke. „Die Bundeswehr zahlt aber nur den Umzug für verheiratete Paare. Da läuten schnell die Hochzeitsglocken, und nach einem Jahr merkt man, dass man doch nicht zusammenpasst.“ Eine hohe Scheidungsrate ist die Folge.

Martina Christopherson, Beamtim im gehobenen Auswärtigen Amt

Ein Abenteuer mit Vollkasko, so nennt Martina Christopherson ihren Beruf. Die 52-Jährige ist Beamtin im gehobenen Auswärtigen Dienst. In 30 Dienstjahren war sie in sieben Städten auf vier verschiedenen Kontinenten tätig: Dakar, Los Angeles, Bonn, Sydney, Accra, Berlin und Tiflis. In Dakar lernte sie ihren Mann kennen, einen im Senegal stationierten US-Soldaten. Die damals 24-Jährige versuchte, sich beim nächsten Umzug am Standort ihres Mannes zu orientieren.
Beim Auswärtigen Amt berät ein Team von Auslandsplanern die Diplomaten bei der Wahl ihrer Dienstorte und der Vereinbarkeit mit Partnern und Familie. Christophersons Auslandsplaner setzte sich dafür ein, dass ihr 1989 eine Stelle in Los Angeles zugeteilt wurde. „Bis dahin führten wir zwei Jahre lang eine Fernbeziehung, da mein Mann aus Afrika abgezogen worden war“, erzählt Christopheron. „Wir telefonierten alle vierzehn Tage – das war vor den Zeiten von WLan und SMS.“
In Los Angeles zogen sie zum ersten Mal zusammen und wurden Eltern von drei Söhnen. Christopherson nahm drei Jahre Erziehungsurlaub. Danach übernahm ihr Mann die Kindererziehung. „Er konnte nach 20 Jahren Dienst bei der Army in Pension gehen. Er hatte genügend Selbstbestätigung gefunden und war auch finanziell durch die Pension abgesichert.“
Christopherson beobachtet aber, dass immer weniger junge Leute bereit sind, für ihren Partner im diplomatischen Dienst die eigenen beruflichen Ziele zurückzustecken. „Kein Wunder“, meint sie. „Zerbricht die Bezieheung, geht der Partner zurück nach Deutschland. Wie soll er dort auf dem Arbeitsmarkt vermittelt werden, wenn er zuvor 15 Jahre lang nur mitgetingelt ist?“
Christophersons Kinder steckten die vielen Umzüge gut weg. Heute ist der Nachwuchs volljährig, zwei Söhne studieren selbst im Ausland. In Berlin, wo ebenfalls ein Kind lebt, hat die Familie ein Haus. „Eine Anlaufstelle für die Kinder zwischen den Semestern und ein Rückzugsort für uns. Leider wird es immer schwieriger, die ganze Familie zu versammeln.“
Der Wohnort der Kinder werde auch einmal eine Rolle spielen, wenn sich die beiden nach Christophersons Pensionierung niederlassen. “ Alle Familienmitglieder sollten mit möglichst wenig Aufwand erreichbar sein. Bei einer sechsköpfigen Familie gar nicht so leicht.“

Quelle: Bianca Bär; http://www.sueddeutsche.de/karriere/berufe-auf-abruf-leben-zwischen-umzugskartons-1.2006044